Freitag, 19. August 2011

KAPITALISTISCHER ALLTAG

KAPITALISTISCHER ALLTAG

EINE AUSSENANSICHT
"Ich konnte alles hautnah selbst erleben, nicht nur theoretisch. Den real existierenden Kapitalismus. Ich sah die kapitalistische Produktionsweise, den kapitalistischen Alltag. Die Medien sind sehr präsent. Aber es ist nicht direkt Propaganda im eigentlichen Sinn des Wortes. Vielleicht hat es nur an meinem eigenen Heimweh gelegen, aber ich spürte unter den Schweizern das konstante Gefühl des Nicht-Zuhause-Seins, einer Art geistigen Unbehaustheit. Und auch einer wortwörtlichen Unbehaustheit: Die Leute zahlen Geld an diese Firmenklüngel, z.B. Versicherungenskonzerne, und diese investieren dann in Wohnblocks, sanieren sie. Und die Häuser werden teurer, somit bezahlt der Arbeiter auch noch dafür, dass man ihm seinen Lebensraum nimmt, nicht nur geistig, auch unmittelbar räumlich." Kein Wunder: Nahezu das gesamte Leben der Bürger wird kommerziell verwertet: Reisen, Lifestyle, Erlebnisgastronomie und Eventmarketing, Themenparks, Themenwanderwege... So wird der Mensch zum Konsumenten seines eigenen Lebens. Ökonomische Logik dringt sogar in Freundschaften und Partnerschaften, alles gilt strikt quid pro quo! Markennamen sind das einzige, was dem Leben im Kapitalismus noch Bedeutung verleiht. Der Nike-Haken, genannt "Swoosh", ist das meisttätowierte Symbol in den USA... Kapitalismus bedeutet: Alle Menschen dieselben Fehler immer und immer wieder wiederholen zu lassen, und dafür auch noch Dividenden zu zahlen. Zirkelschlüsse und Nullsummenspiele kennzeichnen den modernen Kapitalismus. Die Bürger sind im Vakuum der Geldlogik gefangen, die
Edward Hopper Konzerne und Medien stillen unseren Hunger nach Starruhm und (hohler) Bedeutung. "Eine grosse Marke gibt einer Erfahrung grössere Bedeutung, gleichgültig ob es darum geht, in Sport und Fitness sein Bestes zu geben, oder darum, dass die Tasse Kaffee, die man trinkt, wirklich wichtig ist." Scott Bedbury (Marketingchef Nike/Starbucks) MACHT DER KONZERNE Die Werbung der Konzerne dringt immer tiefer, subtiler, organischer in unser Leben. Werber geben sich nicht mehr damit zufrieden, dass Kinderschauspieler in einer Fernsehreklame Cola trinken, sondern Schüler sollen im Deutschunterricht ein Brainstorming für Coca Colas nächste Werbekampagne durchführen. Auch Google hat Wettbewerbe für Schulklassen ausgeschrieben, "Doodles" zu gestalten (Google-Schriftzüge). In Kinofilmen werden nicht mehr nur Schleichwerbungen für die Marken eingebaut, sondern die Filme selbst werden immer mehr als Marken begriffen (Die Indiana Jones-"Franchise" usw.) Die Wirtschaft kauft immer mehr öffentlichen Raum auf, neben Schulen werden auch sogar Forschungseinrichtungen infiltriert: "Yahoo Chair of Information Systems Technology", "Taco Bell disinguished Professor of Hotel and Restaurant Administration" usw. Nike und Disney organisieren Ferien, haben Kreuzfahrtschiffe, oder sogar eigene Inseln. Disney gründete die "Anaheim Ducks" (Angelehnt an den Hockeyfilm "The Mighty Ducks"). Ihre Heimspiele tragen sie im "Honda Center"-Stadion aus.
Schloss Buonas - verschachert an Roche Disney besitzt sogar schon eine eigene Stadt, "Celebration", Florida. Der ironische Gipfel der Dekadenz: Die Stadt ist selber ziemlich markenfrei. Celebration ist die verklärte Vorstellung eines lebenswerten Amerikas aus der Vergangenheit, aus der Zeit vor den Einkaufszentren, Freizeitparks und der Massenkommerzialisierung - aus der Zeit vor Disney! Die 2500-Einwohner-Stadt Cashmere in Washington wurde vom ortsansässigen Süssigkeitenhersteller Liberty Orchard sogar erpresst. Man werde wegziehen, wenn man nicht Werbetafeln an der Hauptstrasse bekäme, bestimmte Strassen umbenannt würden usw.
VOLITION
Wie wird unser Wille gebildet (Volition)? Moderne Läden sind begehbare Umgebungen, Räume geleiteter Wahrnehmung und Betrachtung. Wollen wir also wirklich, was wir wollen? Wünsche kommen von Aussen, werden dem Konsumenten - teils über lange Zeiträume - eingepflanzt. Es ist ein unsichtbarer Kollektivwillen, der unsere Anschaffungen diktiert. Wenn heute zwei Personen miteinander sprechen, dann machen Worte gerade mal noch 7 % der Kommunikation aus. Das meiste sind Bilder und Gefühle durch Werbungen und Reklamen. Wenn Du in diesem System alleine bist, keine Freunde, keine Freundin, keinen Beruf hast, wenn Du ganz am Boden bist, dann bist Du wirklich frei, und weisst, was Freiheit wirklich ist... Im sozialen Tod „darfst“ Du wirklich alle Entscheidungen selbst treffen. Im sozialen Tod merkte ich, dass das alleinige Entscheiden gar nicht so einfach ist, weil plötzlich die Luft draussen ist: Ohne sein Umfeld hat man plötzlich keine Entschlossenheit mehr. Ich weiss es, denn ich bin über ein Jahrzehnt tief in mich hineingetaucht, und habe merken müssen, dass es so etwas wie eine Persönlichkeit gar nicht gibt, bzw. dass sie nur eine Illusion ist - Es gibt keinen anderen, es ist alles eins. Du kannst in Dir selber nämlich nichts finden. Du kannst nicht auf dem Boden von dir selbst sehen: "Aha, ich bin eine Datatypistin." Sicher gibt es Talente und Veranlagungen, aber nur sehr unkonkret. Wenn deine Denkweise auf dem Weg dazu ist, so ganzheitlich zu werden, hast Du anfangs also fast gar keinen Willen mehr. Das ist beängstigend und deprimierend (Kein Wille = Kein Antrieb). Paradoxerweise ist in den heutigen Lebensumständen Abgeschiedenheit notwendig, um Einheit zu erlangen, bzw. man wird automatisch einsam, sobald man Einheit sucht (Was ist das für eine Gesellschaft, wo jede Suche nach Einheit zur Vereinzelung führt?)
Aber wenn Du viele Freunde hast, kommt viel von "deinem" Willen aus deren Willen. Viele Fragen, denen man alleine gegenüberstehen würde, stellen sich jetzt gar nicht. Die sozialen Strömungen bestimmen. Sicher ist das nicht a priori schlecht. Wir sind ja soziale Wesen, wie die Ameisen, die auf rätselhafte Weise sterben, wenn sie zu lange allein. Das Problematische ist bloss, dass es Institutionen gibt, die diese gesellschaftlichen Willensbildungsmechanismen kapern können, heute meist nicht zugunsten der Einheit, sondern um Keile zwischen die Strömungen zu treiben, und aus der Reibung dazwischen Profit ziehen zu können (Statussymbole im weitesten Sinn). Durch die Jugendwerbung lässt man die Jugendlichen sich von der Gesellschaft abspalten, nun brauchen sie ihre ganz eigenen Produkte usw. Das Status-Zeichen, hinter dem nichts mehr steht, ist das ultimative Zeichen, der Herrensignifikant. Doch die Logos sind nicht selbst der Fetisch, sie verweisen - als ein allgemeines Problem der Sprache - auf den "grossen Anderen", da sie die Lücke zwischen ihm und den Bedeutungsketten (der Sprache) wieder besetzen. Der eigentliche Fetisch ist also: Sein wollen wie "der grosse Andere", d.h. der Bessere, der Stärkere, der Reichere, der Mächtigere. In einem korrumpierten System stützt diese ferngesteuerte Art der Willensbildung demnach nur die herrschenden Zustände.
HOLOZID GEGEN DIE SCHWACHEN
Es findet ein riesiger Holozid gegen die "Schwachen" statt, die das wirtschaftliche Tempo nicht mehr mitmachen und die Kälte nicht aushalten können. In Südkorea beispielsweise hat sich innert zehn Jahren die Selbstmordrate verdoppelt, parallel mit dem Aufkommen der Segnungen des Neoliberalismus. Alles dreht sich nur noch um wirtschaftlichen Erfolg und ist auf Wettbewerb ausgerichtet, die Südkoreaner haben die traditionellen Werte aus den Augen verloren. Aus einer kollektiven Gesellschaft sind Einzelkämpfer geworden. So viel Hass und Segregation und Zersiedlung: Kinder kommen in die Schule, Arbeitende in die Fabriken, Arbeitslose auf die Strasse, Kranke in die Spitäler, Alte ins Altersheim. Eine fragmentierte Gesellschaft, und die einzelnen Gesellschaftsgruppen bekämpfen einander auch noch gegenseitig. Theoretisch herrscht Chancengleichheit, aber praktisch werden z.B. Afroamerikaner und Menschen aus tiefen sozialen Schichten nach wie vor unterdrückt. "Intelligenz" ist eine Verschwörung, da ihre Erweckung auch von den Umständen des sozialen Umfelds abhängt - sie muss erkannt und anerkannt werden. Es ist nach wie vor wenigen Leuten bekannt, dass ein Afroamerikaner beispielsweise die Ampeln erfunden hat. Stattdessen verbreitet man bei der CIA lieber ein gefälschtes "Black Panther"-Malbuch mit Gewaltdarstellungen, um Afroamerikaner zum diskriminieren.
DAS NETZ ZIEHT SICH ENGER Nicht verwunderlich, dass wir permanent auf der Flucht sind (Und trotzdem nicht vorwärtskommen). Wir haben schnellere Transportmittel (trotzdem stehen wir die Hälfte der Zeit im Stau.) Wir haben dutzende Kommunikationsmittel, aber sind nicht entsprechend besser erreichbar (Facebook scheint uns zu einen, trennt uns aber). Die Geschwindigkeit, in der etwas geschieht, kann die Natur des Geschehnisses ändern. Es ist ein System, das das Individuum gegen die Gesellschaft stellt. In einem Test wurden verschiedene Generationen mit folgender Aussage konfrontiert: "Ich muss mir in dieser Welt nehmen, was ich kriegen kann, denn niemand wird mir etwas schenken". Von der Generation der "Reifen" (1909-45) bejahten erst 1/3, von den Babyboomern (1946-64) 1/2, von der Generation X (ab 1965) schon 2/3.
Du übernimmst die brutaldarwinistische Denkweise der Konzerne, die für Deine soziale Unsicherheit überhaupt erst verantwortlich sind, und wirst ebenfalls härter, gieriger und zielbewusster - "just do it". Aber was ist, wenn jemand NICHT der nächste Branson oder Gates werden möchte? Warum sollte so jemand sich noch für die Konzerne engagieren, die sich ja ihrerseits auch von ihm losgesagt haben? Dass es keine Identifikation mit dem Arbeitgeber mehr gibt, weiss jeder, der schon mal 15 Minuten nach Ladenschluss in einem Einkaufszentrum war, und die Schlange der Niedriglohnverkäufer gesehen hat, die mit geöffneten Taschen und Rucksäcken anstehen um sich filzen zu lassen. Schon 1998 wurden 42,7 % der Waren im US-Einzelhandel von Angestellten entwendet... Man ist nun also isoliert, in die Enge getrieben, und kann sich auf niemanden mehr verlassen.

FLUCHT ZWECKLOS
Aber wohin sollte man flüchten? Im Kapitalismus sind sogar die Aussteigerpläne vorprogrammiert - Freiheit ist: Mit einem roten Cabriolet durch Sonnenblumenfelder fahren. Das ist in etwa das Bild, das uns durch die Werbung eingeprägt hat. Lustigerweise scheint Freiheit immer einen Ortswechsel zu bedingen. Kann man denn nicht an Ort und Stelle frei sein? Die Wahrheit ist, dass wir bereits frei sind (auf eine Art). Es ist die Freiheit im Freiheitsverständnis des Neoliberalismus: Die Freiheit, nicht zu arbeiten und mit der absoluten Sinnlosigkeit konfrontiert zu sein, die Freiheit, ledig zu vereinsamen, die Freiheit, die sagt: "Du könntest, du könntest aber auch nicht, es ist mir eigentlich egal, was du tust, und ob es dich überhaupt gibt." Viele Menschen sind auf der Arbeit glücklicher als in ihrer Freizeit - Nicht weil sie ihre Arbeit so sehr liebten, sondern einfach weil sie nicht wissen, was sie mit ihrer Musse tun sollen.
ABULIE UND RESIGNATION
Im neoliberalimusverherrlichenden Propagandafilm "Free To Choose" jubelt der Schauspieler Arnold Schwarzenegger "You are free to choose". Wenn Du in einen heutigen Laden gehst, hast Du die Qual der Wahl. Abulie, Entscheidungslähmung ist die Folge. "Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen sollt, noch um euren Körper, wie ihr euch kleiden sollt. (...) Beobachtet die Feldblumen, wie sie wachsen; sie mühen sich nicht und sie spinnen nicht. Aber ich sage euch, selbst Salomon in all seiner Herrlichkeit war nicht so bekleidet wie eine von diesen. Wenn aber Gott das Gras, das heute auf dem Feld steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, nicht viel mehr euch, Kleingläubige?" Lukas 12,22 Während des afrikanischen Apartheidregimes musste man, um gleichgültige Untertanen zu bekommen, noch plump die Droge Mandrax in grossem Stil unter die Leute bringen, auch um Aufstände in den Townships zu verhindern. Die heutige Sucht nach Emulgatoren und PCB wirkt dagegen wesentlich subtiler (u.a. über eine Schwächung des männlichen Testosterons). Letztlich spielt es also keine Rolle, welches Produkt man kauft (nur die Etiketten sind verschieden), alle beeinhalten diese Emulgatoren. Politisch geschieht interessanterweise etwas ganz Ähnliches: Vordergründig scheint man die Wahl zu haben, aber eigentlich steht jede Partei für dasselbe.
MARKTFORSCHUNG UND POLITISCHE PR
Die Regierung analysiert die Stimmung der Bevölkerung über die "Marktforschung". Manchmal ist in seitenlangen Fragebögen nur eine einzige Frage relevant für sie (irgendwo versteckt zwischen unverfänglichen Markenfragen, die deine Meinung zu einer politischen Sachfrage offenbart). Die Marken-Abulie wird gefördert, weil sie auch politisch zu einer Orientierungslosigkeit führt, die das gegenwärtige System stützt. Nicht nur macht die Regierung Werbung, sondern umgekehrt machen auch die Werber Politik, bestimmen sie massgeblich mit. Marketing kann in diesem Land sogar an Universitäten studiert werden!!!
ABLENKUNGSTAKTIK
Das öffentliche Bewusstsein im Kapitalismus wird sehr stark auf kleine und mittlere Probleme und Detailfragen fixiert: Übergewicht, Stottern, Akne. Alle Leute haben ein Problemchen, da verleugnen wir doch lieber das Hauptproblem, den eigentlichen Schaden, den die Gesellschaft als Ganzes hat. Und wenn einer nach der Sendung noch stottert, ist er einfach selber schuld...
MENSCHLICHES AUSSCHUSSMATERIAL
Die SVP ist dagegen, dass Betriebe eine Mindestquote von IV-Rentnern eingliedern müssen... Da frage ich mich: „Gibt es also doch wirkliche Invalide?“ Ansonsten ist auf den SVP-Plakaten ja immer nur die Rede von Scheininvaliden... Das neoliberale System schliesst 25 - 60 % der Bevölkerung kategorisch aus. Wenn eine so selektive Gesellschaft geformt wird, quillt immer ein bisschen Teig unter der Form hindurch. Und dieser Teig beginnt jetzt langsam zu gären.
JOKE JOBS
Ich musste Webseiten gestalten, die nie online gingen! Ich hatte auch schon einen Ctrl+C/Ctrl+V-Praktikantenjob, bei dem ich herumsitzen und wochenlang für schleierhafte Zwecke Adressen aus Telefonverzeichnissen rauskopieren sollte, die Abteilungsleiterin teilte mir keine richtige Arbeit zu, ausser den Büroboden aufnehmen konnte ich wenigstens, und die Pflanzen giessen. Boreout, bis ich eines Tages daran zerbrach. Schlussendlich wusste ich nichtmal ob das "Mobbing" hätte gewesen sein sollen, oder ob es üblich ist. Ich klagte nicht - Die Gerechtigkeit eines Gerichts ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Die meiste Arbeit ist geisttötende. Selbst die "geistige" Arbeit kann im Kapitalismus geisttötend sein, ein Strassenwischer hat wesentlich mehr Freiraum zum Denken, kann seine eigenen Gedanken machen, statt die schädlichen Gedankengänge und Arbeitsabläufe eines Industriellenbüros nachvollziehen zu müssen.
HEADHUNTER UND FREELANCER
Es gibt gefälschte Headhunter-Firmen (Das ganze Büro ist gefälscht, sogar die Familienfotos auf dem Tisch!), die „hohe Tiere“ mit Stellenangeboten ködern, um sie dann am fingierten Vorstellungsgespräch auszuhorchen Die Stelle gibt es nicht, das Personalbüro ist nur gemietet, das Familienfoto auf dem Tisch gefälscht. Alles, um an Insider-lnformationen der Konkurrenz zu gelangen. Das Wort "Headhunter" bedeutet nicht wie oft angenommen "Kopfgeldjäger". Gemeint sind vielmehr die "Kopfjäger", z.B. auf Borneo, die Köpfe abhacken und sammeln... Und das Wort Freelancer stammt aus der Zeit, als man „Lanzknechte“ für Schlachten mieten konnte.
POSTINDUSTRIALISIERUNG
Der Westen wird immer mehr zur postindustriellen Gesellschaft, er stellt selber nicht mehr viel her. Die letzten Fabriken, die noch in den USA und Europa geblieben sind, setzen ihre Arbeiter mit der Drohung des Arbeitsplatzexports unter Druck. Manchmal bringt man - um Psychoterror auszuüben - Versandaufkleber mit einer chinesischen Adresse an den Ausrüstungsgegenständen der Fabrik an, oder hängt eine Landkarte auf, auf der ein Pfeil Richtung Arbeitsplatzexportland zeigt. All die grossen Schweizer Firmen sind mittlerweile zerschlagen: Revox, Feldschlösschen, Victorinox und Ruag können nur noch überleben, indem sie sich Staat und Armee anbiedern, zum Teil sogar ausländischen Armeen. Ruag-Munitionskisten wurden in Lybien gefunden, die Pilatus-Flugwerke exportierten bombenfähige Flugzeuge in Kriegsgebiete usw.
WERBUNG WIRD UNSICHTBAR
Einmal hatte ich die Idee, Webseitenbetreibern die Rechtschreibkorrektur ihrer Seiten anzubieten. Mit Stichproben warb ich - und stiess auf viel Resonanz: Ich bekam gehässige Mails. Aber die allgegenwärtige Werbung von Starbucks & Co. stört niemanden. Wir bieten ihnen geradezu an, unsere Gehirne zu ficken. Man bräuchte eine Werbung, so gross, dass niemand mehr erkennt, dass es eine Werbung ist. Der Grosse hat das Recht zu werben, denn er muss noch grösser werden. Daewoo heuerte 2000 Studenten als "Street Distributers" an, die ihren Freunden ganz kollegial ein Auto aufschwatzen sollten, Werbung wird immer subtiler. Guerillawerbung wird im Alltag versteckt, ein Hotelportier soll Päckchen eines Versandhauses neben sich hinstellen usw. Webseiten werden von "Content Developpern" geschrieben, diese Inhaltsentwickler haben die Aufgabe, redaktionelle Texte zu verfassen, die für die Anzeigen der Markenfirmen einen ansprechenden Rahmen ergeben. Z.B. für eine schein-neutrale Computerseite einen Artikel über Datenarchivierung, dessen Zweck letztlich das Anpreisen von Dell-Festplatten ist.
TEUFELSKREIS DER NICHTIGKEITEN
Eines lehrt die Firmen das Fürchten: Die vereinte Konsumentenmacht. Deshalb wollen sie diese schmälern, auch mit langfristigen, subtilen Mitteln. Sie implizieren dem Konsument, was eine "Philosophie der Nichtigkeiten" (bzw. "Sinnlosigkeit"/"Vergeblichkeit", engl. "Philosophy of futility" genannt wird. Man will damit unsere Aufmerksamkeit auf die unbedeutenden Dinge im Leben richten, z.B. auf die modischen Konsumausgaben, den Konsum zum Zeitvertreib. (Der Drang, dies zu tun, wird erst recht auch durch die Monotonität im Arbeitsalltag angeheizt, zu deren Ausgleich wir dann wieder viel Mode nötig haben, weil dem Alltag ebenjene Schönheit fehlt.) Sie schaffen diverseste künstliche Bedürfnisse, sprengen die kollektive Macht der Kunden. Der Kunde bemerkt die Falle nicht, und nimmt die Mode dankend an, denn er will ausmalen, was leer ist – Angst vor der Leere. Horror Vacui.
TEILE UND HERRSCHE!
Margreth Thatcher sah sich einst mit widerspenstigen Demokraten konfrontiert, die oft in Wohlfahrtswohnungen wohnten. Sie veranlasste, dass die Linkswähler die Wohnungen billig kaufen konnten. So wurden die Demokraten zu Republikanern! Das Ziel ist es, Individuen zu haben, die total voneinander separiert sind. Individuen, deren Wertmasstab so ist, dass ihr Selbstverständis und Selbstwertgefühl hauptsächlich von einer Frage abhängt: "Wieviele Wünsche kann ich befriedigen?" Ein Teufelskreis, denn der Wunsch nach neuen Konsumgütern führt wiederum zu mehr Industrie, und mehr Industrie wiederum zu mehr Konsum...
LUXUSBETTLER
Ich traf einmal eine rundliche Frau in der Nähe des Bahnhofs, sie stellte sich mir in den Weg und radebrechte: "Ganze Familie arm, Wohnung rausgeworfen, kein Geld müssen Miete bezahlen" Ich gab ihr eine Handvoll Münz. Wortlos starrte sie mich an: "Aber das sind fumf Franken, das reicht für einen Kaffee..." (Andere Leute singen den ganzen Tag und bekommen nur ein paar Rappen!) Ich ging weiter ohne Worte, und mir wurde bewusst, dass sie Einkaufstaschen in der Hand gehabt hatte...
GESCHICHTE DES MARKETING
In den ersten Marketingkampagnen (für die damals noch neuen Autos, Telefone und Glühlampen) ab der Hälfte des 19. Jahrhunderts ging es wirklich noch um die Produkte an sich. Namen und Images waren noch unwichtig. Der Wettbewerb durch Markenartikel wurde aber später eine Notwendigkeit, weil der Markt voll mit einheitlichen Massenprodukten war. Aufgrund der fabrikmässigen Gleichheit musste eine auf dem Image beruhende Verschiedenheit erfunden werden. Ausserdem wurden sympathische Werbemaskottchen zur Schnittstelle zwischen Produkt und Kunde, da es nun keinen Krämer mehr gab, der das Mehl abwog und eintütete. Der legendäre Werbeagent Bruce Barton missbrauchte - als Pfarrersohn - religiöse Begriffe für seine Zwecke: "Werbung ist für mich etwas Grosses, Herrliches, etwas, das tief in eine Institution eindringt und ihre Seele ergreift" Auf Kleidern sah man früher nur selten sichtbare Logos, höchstens auf Golfplätzen. Mitte der 70er brach Izod Lacostes Alligator dann aus dem Golfplatz aus und eroberte die Strasse. Diese Entwicklung ging so weit, dass heute ein Tommy Hilfiger schon gar keine Kleider mehr herstellt, sondern quasi nur noch signiert (Jockey produziert in Wirklichkeit die Unterwäsche, Oxford Industries die Hemden usw.) Der Alligator hat sich erhoben und das reale Hemd geschluckt, das nur noch als sein Vehikel fungiert. Mitte 80er wurde von Managementtheoretikern die Idee entwickelt, wonach erfolgreiche Unternehmen keine Produkte mehr herstellen sollten, sondern Marken. Das eigentlich "Produkt" ist nicht der Schuh, sondern sein Image. Unternehmen des neuen Stils betrachteten sich fortan als "Sinnvermittler" und es wurden keine Waren mehr präsentiert, sondern Ideen. Nikes Mission etwa besteht darin "Das Leben der Menschen durch Sport und Fitness zu verbessern" und "den Zauber des Sports am Leben zu erhalten“. Swatch geht es nicht um Uhren, sondern um „die Idee der Zeit“. IBM verkauft keine Computer, sondern "Computerlösungen" für Unternehmungen. Die reinsten Marken gibt es heute im Internet: Sie existieren - vollkommen befreit von der realen Welt - als kollektive Fantasien. Firmen wie Sekten: Sie hausen in Monumentalbauten, haben eine lückenlose Designkonsistenz mitsamt Firmenhymnen, ihre CEOs treten wie Superstars auf. Ihre Leitbilder sind esoterisch angehaucht und sie haben bizarre Begriffe für ihre Angestellten (Barista, Partner, Mannschaftsmitglieder..) Marketing ist zu unheimlich vielem fähig: Mc Donald's bringt es mit seinem brillianten Marketing beispielsweise fertig, kleine Kinder anzusprechen, ohne dass dies die Jugendlichen abstösst, und Jugendliche anzuziehen, ohne dass Eltern und Grosseltern mit ihren Kleinkindern sich unwohl fühlen.
KULTURMARKETING
Die Deregulierungs und Privatisierungspolitik der 80er gab den Konzernen Aufwind bei ihren Eroberungsfeldzügen: Steuersenkungen liessen den öffentlichen Sektor ausbluten, Schulen, Museen usw. waren nun auf Werbepartnerschaften angewiesen. Mitte der 90er waren die Marketingprofis dann bereit für die nächste Stufe: Nicht mehr nur den eigenen Produkten das Logo aufdrücken, sondern auch der Kultur. Sie sponserten kulturelle Veranstaltungen und beanspruchten damit Teile der Kulturwelt als Brückenköpfe für ihren Markennamen. Sie haben einen unbändigen Hunger nach kulturellen Ideen und Metaphern, die sie aufsaugen und als Markenerweiterung wieder in die Kultur zurückspeien. Firmenlogos sind inzwischen so etwas wie eine Weltsprache geworden und man versteht sich grenzenlos über Marken, Sitcoms, Werbespots. Ein Mathebuch in den USA war gespickt mit Markenartikeln, die Schüler mussten z.B. den Durchmesser eines Oreo-Kekses ausmessen. Elternvertreter stiegen auf die Barrikaden und waren empört über die "Werbung". Aber es war keine Werbung, sondern die Autoren rechtfertigten sich, man habe den Schüler mit Bezügen aus seiner eigenen Lebenswelt ansprechen wollen, damit er merkt: "Hey, Mathe gibt es wirklich!"
PUBERTÄT - NEU AUCH FÜR ERWACHSENE UND KINDER
Lange Zeit lebten diese Industrien von den Hippies und Yuppies. Um 1992 stieg die Zahl der Teenager in den USA an, und es fand ein Umdenken statt. Um die minderjährige demografische Gruppe zu erreichen, muss man sich ein cooles Image zulegen. Die quälenden Zweifel der Adoleszenz sind damit zur Millionen-Dollar-Frage unseres Zeitalters geworden: "Bin ich cool?" Jugendmarketing ist immer wichtiger geworden, denn gerade heute gibt es global gesehen überproportional viele Teenager (oft aufgrund von Kriegen oder niedriger Lebenserwartung). In Chinas armen Familien werden zwar wenig Konsumgüter verbraucht, aber es herrscht das "Kleiner Kaiser"-Phänomen, auch bekannt als "4:2:1-Phänomen": 4 Grosseltern und 2 Eltern sparen, damit aus ihrem (männlichen) Kind ein MTV-Klon werden kann. Die Konzerne müssen Traditionen bekämpfen, und das Bild von DEM Teenager festigen und rebellisch konnotieren, womit sie einen Keil zwischen Generationen treiben, gerade damit die Jugendlichen sich eingeengt fühlen. In einer koreanischen Diesel-Werbung nehmen sich Jugendliche das Leben und verwandeln sich in Vögel - sie finden die Freiheit in der Marke.
HOMOGENISIERUNG
Als sich die Märkte zusehends global öffneten, sah man sich mit einem Problem konfrontiert: Soll man die Werbung auf jedes Land individuell zuschneiden (teuer), oder allen Ländern dieselben amerikanischen Stereotypen aufzwingen? Weder noch! Die Entdeckung der Vielfalt bot einen Ausweg aus dem Dilemma, Werbungen sind heute in einem preiswerten uniformen Multikulturalismus gehalten. Was für eine Ironie: Ausgerechnet Vielfalt ermöglicht die Homogenisierung!
EXPANSIONSHUNGER
Starbucks wendet die "Cannibalization"-Expansionsstrategie an: Man erobert zuerst ein Gebiet fertig, bevor man sich ans nächste Gebiet macht. Das Signal, dass man weiterziehen kann, ist erst gegeben, wenn ein Gebiet so stark mit Starbucks gesättigt ist, dass sogar die Umsätze in den eigenen Läden sinken!
ALDISIERUNG vs. MARKENWUCHER
Praktisch das Gegenteil der teuren Marken sind Ketten wie WalMart. Aufgrund riesigen Einkaufsvolumens kann WalMart Artikel zu Preisen verkaufen, die bisweilen sogar unter dem Einstand der Konkurrenz liegen. Strategie ist es, Amerika mit "Clustern" billiger Läden zu überziehen. An billiger Lage, wo sie nur mit dem Auto zu erreichen sind, über Strassen ohne Gehwege, durch passantenlose Betonwüsten. Diese wecken dann wieder das Gegenbedürfnis nach einer am Menschen orientieren Einzelhandelsform mit mehr Interaktion: Starbucks, Niketown usw. So besteht eine Symbiose zwischen Discountern und Markenfirmen: Wo Walmart&Co ihre Grösse benutzen, um grosse markenlose Warenmengen zu bewegen, setzen Nike&Co ihre Grösse ein, um Marken zu einem Fetisch zu machen. Discounter ersetzen gemeinschaftliche Werte durch Billigpreise. Marken hingegen schaffen dann das Gemeinschaftsgefühl neu und verkaufen es teuer. Dazwischen zerrieben werden die kleinen unabhängigen Unternehmen.
KORRUPTION DES ÖFFENTLICHEN LEBENS
Das Resultat der Machtkonzentration der Firmen: Zensur und Ausbeutung. Ausserdem verflacht die Kultur. Früher waren Plattenfirmen dem Verdikt der Plattenläden und der Musikzeitschriften ausgeliefert - heute besitzt das Label Virgin seine eigenen Läden und Sender. Der Konzern setzt sich somit über ganze Phasen der Verbraucherauswahl hinweg! Es werden Einkaufszentren nach amerikanischem Vorbild gebaut, die nicht mehr Marktplatzförmig sind, sondern modular aufgebaut - Einkaufszentren, in denen man leichter "aneinander vorbeikommt".
INFORMATIKBERUFE ALS RETTUNG?
Das Märchen vom guten Arbeitgeber Microsoft ist vorbei. Der erlauchte Kreis der ursprünglichen Mitarbeiter ist abgeschottet worden und seit mehr als 10 Jahren wurden in diesen harten Kern nur vereinzelt neue Gesichter aufgenommen. Dank "Komplettlösungen durch Personaldienstleister" ist Microsoft dabei, ein Unternehmen ohne Angstellte zu werden. Microsoft hat schon 1/3 seines Personal zu Aushilfen degradiert. Eine Zweiklassenbelegeschaft: die Alteingesessenen "MicroSerfs" (Mikrosklaven) und die "PermaTemps" (dauerhafte Temporäre). Microsoft verlor einmal einen Prozess, in dem das Gericht befand, die "unabhängigen Auftragnehmer" hätten gleiche Rechte. Der Konzern bemüht sich seither nur noch stärker, seine Aushilfen deutlich auszugrenzen, sie dürfen nicht mehr an Firmenfeste usw.
UNBESTÄNDIGKEIT VERHINDERT, DASS ARBEITER SICH ORGANISIEREN
Es herrscht ein Gefühl der Unbeständigkeit in der Arbeitswelt. Sogar die CEOs haben oft nur kurze Gastspiele für ganz bestimmte Schlüsselaufgaben, gerade Entlassungen vornehmen. Es entstehen immer mehr "Joke Jobs" - der Trottel mit dem gefrorenen Joghurt, der Orangenauspresser, der Grüsser usw. Meist sind das Teilzeitstellen. Die Flexibiliät der Teilzeitarbeit ist zweigleisig. Sie kann z.B. von jungen Müttern sehr geschätzt sein, aber es gibt auch eine Flexibilität im Sinne der Konzerne: Es kann bei Starbucks sein, dass jemand um 5 Uhr antreten und nach der Stosszeit um 9:30 wieder gehen muss, weil er danach "ineffizient " wäre. Denn Starbucks nutzt sein Programm "Starlabor", um zu registrieren, wer wann wieviel von welchem Kaffee verkauft. So werden die oft nur wenige Stunden langen Schichten auf den optimalen Verkauf zugeschnitten. Fastfood und Einzelhandel gelten nicht mehr als Berufe für Erwachsene. Diese Menschen stecken in einem Widerspruch, sie sagen sich "Ich bleibe nur kurz, und suche etwas Besseres". Das ist den Arbeitgebern recht: Niemand will dann Lohnerhöhungen oder Aufstiegsmöglichkeiten. Nicht wenige arbeiten heute sogar umsonst, besonders im Medienbereich. Von CBS, MTV und auch von den deutschen Privatsendern ist solches bekannt. Das sind manchmal noch nicht einmal richtige Volontariate, die Volontariate werden erst in Aussicht gestellt. Es wird vermutet, dass das Praktikantentum dazu führt, dass die Medien im Endeffekt von der Elite beherrscht werden, weil Kinder armer Eltern es sich nicht leisten könnten, ein Jahr oder zwei nichts zu verdienen. Sie fordern längere Öffnungszeiten für Läden, hingegen sind die Banken nach wie vor nur während der Arbeitszeiten offen. Der Arbeiter soll keine Bankgeschäfte tätigen können.
(Individualisierung = Ich-pod, Ich-phone, Ich-pad) (andere Leseart: Eye-pod, Eye-phone, Eye-pad)
Geräte mit eingebautem Verfalldatum werden herausgebracht, oder Produktsabotage an den eigenen Produkten findet statt: Man hätte z.B. bereits das neuere IPhone gehabt, aber stutzte dann dessen Fähigkeiten absichtlich zurück, um zuerst mit einer Zwischenversion Geld machen zu können, und alle Geräte in strategisch gestaffelten Hypes rauszubringen

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